Rotierende Aufmerksamkeit beim Üben  ·  Teil 2

» Hier geht es zum Teil 1


Beim Üben empfiehlt es sich, auf ein gutes Zusammenspiel von Hören, Wahrnehmen und Denken zu achten. Die französische Bratschistin Marion Leleu beschrieb dieses Prinzip in ihrem Vortrag «Viola Bites», den sie am 17. März 2020 am Bach-Musikgymnasium in Berlin gehalten hat.

Säule 3: Sehen

Marion Leleu

Niklaus Rüegg - Beim Üben nimmt das Sehen auch eine wichtige Rolle ein, zum einen sehen wir Teile unseres Körpers beim Spielen (besonders Arme und Hände), zum anderen können wir uns auch in einem Standspiegel selber beobachten. Der geübte Blick prüft im Spiegel folgende Punkte:

 
  • ist der Bogenverlauf parallel zum Steg?
  • Ist der rechte Oberarm auf der Höhe der gespielten Saite?
  • Wird der Bogenwechsel in einer runden und welligen Bewegung ausgeführt?
  • Nehmen alle Gelenke und Artikulationen an den Bewegungen teil? Wichtig dabei ist, dass alle Gelenke der Hand und der Finger beteiligt sind.
  • Ist das linke Handgelenk in der Verlängerung des Armes und macht keinen Knick weder nach hinten noch nach vorne.
  • sind alle Finger der linken Hand abgerundet, jeder in seinen Winkel, und arbeiten da auch alle Gelenke aufeinander abgestimmt? Sind sie weder zu scharf abgeknickt noch gestreckt oder gerade?
  • ist der linke Ellbogen unter der Bratsche und nicht unnötig eingedreht?
  • Die Ganzkörperstatik kann auch gut im Spiegel beobachtet werden, besonders die kompensatorischen Bewegungen die oft passieren bei technischen Schwierigkeiten.
  • Beispiel 1: beim Bogenwechsel am Frosch, der ohne Ausweichen des Oberkörpers nach links geschehen sollte.
  • Beispiel 2: beim Lagenwechsel nach oben, oder noch mehr nach unten, ohne nach vorne oder nach hinten zu fallen.
  • Beispiel 3: Siehe Punkt 3 und 5 oben unter Säule 2 Wahrnehmen (Flexibilität der Knie und Beweglichkeit des Beckens). Diese Wahrnehmungen können auch gut im Spiegel beobachtet werden.
Alle diese Punkte können aber nur eine Hilfe sein, wenn wir ein funktionierendes inneres Schema haben, nach dem die Bewegung physiologisch ablaufen sollte. Dies bedeutet für mich, dass das Sehen eine Speicherfunktion einnehmen kann: Wenn es endlich «richtig» klingt, und sich «richtig» anfühlt, lohnt es sich beachten, wie es dabei aussieht, um sich für die Wiederholung und Automatisierung der Bewegung ein Modell einzuprägen.
 

Säule 4: Denken
Diese Fragen führen direkt zur vierten Säule, dem Denken.
Die Wahrnehmung und das Zuhören neigen dazu, sich (wenn auch nur kurz) auszuschalten, wenn sich die Spielenden «in Gefahr» fühlen. Dieses Gefühl der Gefährdung kann durch eine Vorspielsituation, aber auch schon durch leise Selbstzweifel hervorgerufen werden.
Das Denken hilft beim Üben, Analysieren und bei der Entwicklung einer Klangvorstellung. Beim Vorspielen kann es hingegen hinderlich sein und sollte heruntergefahren werden, um das Spiel aus einer viel tieferen Quelle entstehen zu lassen. Musizierenden, die sich beim Üben ständig selbst kritisieren oder sich und ihre Fehler ablehnen, wird es schwerfallen, auf der Bühne plötzlich voller Akzeptanz für sich und ihr Spiel zu sein. Denn auf dem Podium gilt es, in den sogenannten Flow zu gelangen, in man sich eins mit sich selbst fühlt, vollkommen aktiv und präsent und dennoch entspannt ist. Das Hören und die Wahrnehmung stehen jetzt im Vordergrund und das Denken hält sich als «stiller Beobachter» im Hintergrund. Sobald sich ein Parameter zu stark aus dem Soll-Bereich entfernt, schaltet sich im Idealfall eine Kontrollinstanz ein, nimmt die nötige Korrektur vor, um sich danach quasi wieder in den Beobachtermodus zurückzuziehen. Konzertierende Musikerinnen und Musiker, die den Flow kennen, können bestätigen, dass sie sich nach solchen Konzerten, unabhängig von den Reaktionen des Publikums, glücklich und zufrieden fühlen. Nach einem Konzert, während dem sie ständig über technische Abläufe und anderes nachgedacht haben, fühlen sie sich hingegen unerfüllt, egal wie viele Komplimente und Blumen sie bekommen haben.

Ruhig und angstfrei üben
Doch welche Lösungsansätze bieten sich, um sich auf dem Instrument zu verbessern?
Die traditionelle Methode besteht darin, sich zu motivieren, indem man streng zu sich selber ist. Selbstauferlegter Druck ist aber oft demotivierend und führt schnell zu Frustration und Unlust;
darüber hinaus ist er ein gefährlicher Nährboden für Lampenfieber. Viel angenehmer und lohnender ist es, mit einem wachen und neutralen Beobachtergeist zu üben, sich intensiv zuzuhören und zu spüren. Auf diese Art erschliesst sich den Übenden das klangliche Ziel viel leichter und sie verstehen, was sie bei der Haltung oder Bewegung ändern müssen, um diesem Ziel näherzukommen. Marion Leleu: «In der nötigen Ruhe und einer angstfreien, wohlwollenden und annehmenden Haltung verfügen wir über unser gesamtes Denkvermögen und können Wege finden, wie wir uns verbessern können». Eine Voraussetzung dafür ist, eine genaue Vorstellung davon zu entwickeln, wie das Resultat klingen sollte: «Wir sollten in der Lage sein, unser inneres Klangbild so genau und so lebendig wie möglich abrufen zu können. Ganz ohne Selbstgefälligkeit gilt es, den Ist-Zustand als eine Momentaufnahme zu akzeptieren und die Puzzlestücke der erdachten Klangvorstellung mit Selbstvertrauen Stück für Stück zusammen zu stellen», wünscht sich Marion Leleu und empfiehlt folgenden Test: Eine Passage «im Kopf» zu hören und zu versuchen, den bestmöglichen Klang, die perfekte Intonation und genau die Klangfarbe innerlich zu hören, die sie man sich vorgestellt hat. Anschliessend wird das «Soll-Modell» mit dem «Ist-Zustand» abgeglichen.

Schritt für Schritt zum Idealklang
Eine innere Klangvorstellung zu entwickeln ist nicht einfach und braucht viel Übung. Das innere Ohr arbeitet zunächst bruchstückhaft und für manche Töne und Rhythmen fällt es schwer, eine Vorstellung zu entwickeln. Ein Weg kann sein, mit mehreren verschiedenen Ton- und Videoaufnahmen zu arbeiten und mit dem Notenbild zu vergleichen. So kann man den Geschmack schulen und eine eigene, «innere» Version des Stückes entwickeln. In einer zweiten Stufe kann die Übung ohne Ton und nur durch das Betrachten der Noten durchgeführt werden. In einer weiteren Abstraktionsstufe legt man auch die Noten weg und stellt sich die Musik innerlich vor. Gleichzeitig kann man versuchen, die Klangvorstellung mit dem Körpergefühl während des Spielens gedanklich zu verbinden. Daraus folgen Rückschlüsse auf die Effekte, die durch gewisse Bewegungen entstehen.

Marion Leleu weiss, worauf es beim Üben und Spielen ankommt: «Sei beim Üben dein bester Coach, Lehrer und Freund. Denn dadurch stärkst du dich, ermutigst dich, im Moment zu bleiben und aufmerksam zuzuhören und wahrzunehmen, und bereitest damit alle diese schönen Flow-Momente auf der Bühne, die du mit den Zuhörern teilen kannst».

Anzeige

OPUS 74 – FLAINE

L'ACADEMIE DES ARTS
DU 17 au 31 Juillet 2021

Web: http://opus74-flaine.com
 

Neuheiten

Michael Glinka
(1804–1857)

Sonate d-moll
für Klavier und Viola

Urtext, herausgegeben
und ergänzt von Igor
Andreev

>> zur Ausgabe
Eric Mayr (1962)

Fünf kleine Stücke
für Viola und Klavier

Die fünf Stücke sind
auch einzeln als
Dwonload erhältlich
für je EUR 3.10

>> zur Ausgabe

Noten für Bratsche als Download

Ernest Hiltenbrand
(1945)

Oraison Irlandaise
Duo für 2 Bratschen
EUR 3.90
>> zum Download
Yossi Gutmann
(1947–2019)

Deliberations Vol. 1
für Bratsche
OPEN ACCESS

>> zum Download

 

Das könnte Sie auch interessieren

Wie wichtig ist Motivation, wie wichtig ist Übung?

Übung und Motivation sind die Hauptzutaten für den Erfolg eines Musikers. Über die Bedeutung von Talent haben wir HIER schon etwas geschrieben. Aber die Bedeutung von Motivation kann gar nicht genug betont werden!
» zum Blogbeitrag

 

Viola-Newsletter

NewsletterMöchten Sie keinen Blog mehr verpassen? Mit unserem monatlich erscheinenden ViolaNewsletter machen wir Sie auf die neuen Blogartikel aufmerksam.
» Viola-Newsletter abonnieren

 

Facebook

Besuchen Sie uns auf Facebook unter «Music4Viola». Die Newsbeitäge werden auch gepostet.
» Zu Facebook