1735-09-05Leipzig, Deutschland1782-01-01London, Englandmale

Konzert c-moll, für Bratsche und Orchester

Besetzung
Bratsche, Orchester
Klassifikation
Bearbeitung
Tonart
c-moll
Spieldauer
14 Min.  –  15 Min.
Gattungen
Konzert
Literatur
Ewald · Directory «Musik für Bratsche», CH, 2013
Verlag
 

Inputs

PhSch : 
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Es ist erstaunlich, dass zu den bekanntesten und meistgespielten Violakonzerten des 18. Jahrhunderts heute eine Komposition gehört, die weder original, noch als besonders gelungene Stilkopie zu bewerten ist. Es ist schon seit geraumer Zeit bekannt, dass es sich bei dem Johann Christian Bach zugewiesenen Violakonzert in c-Moll sowie bei dem Georg Friedrich Händel zugewiesenen Violakonzert in h-Moll um Fälschungen von Henri Casadesus handelt. In dem Aufsatz «Apokryph, Plagiat, Korruptel oder Falsifikat» (in: Die Musikforschung, 20. Jg., Heft 4, Kassel 1967, S. 413-425) stellt Walter Lebermann unmissverständlich klar, dass die Konzerte keinen Bezug zu den Komponisten des 18. Jahrhunderts haben. Außerdem kann sich Lebermann auf eine Auskunft der Witwe von Henri Casadesus berufen, die die Fälschungen ihres Mannes bestätigt.
Dennoch hat sich vor allem das Konzert von J. C. Bach im Konzertleben fest etabliert. Die Ursachen dafür sind allerdings weniger mit der besonderen Qualität der Komposition zu begründen, die genaugenommen so gut wie keine Ähnlichkeiten mit Bachs Kompositionsstil aufweist, sondern eher mit dem Wunsch, das schmale Violarepertoire des 18. Jhts. zu bereichern, was durchaus nachvollziehbar ist. Man muss auch berücksichtigen, dass die Fälschungen in einer Zeit aufkamen, in der man kaum Zugang zu den Originalquellen hatte und über viele uns heut landläufig bekannte Komponisten so gut wie nichts wusste. Der Ansatz, Unbekanntes auf diese Art bekannt zu machen, erscheint uns heute höchst fragwürdig, trug aber mit Sicherheit zu einem wachsenden Interesse an bestimmten Werken oder Komponisten bei.
Im Falle des Violakonzerts in c-Moll (das auch in Fassungen für Violine bzw. Violoncello kursiert) sollte es sich um eine 1768 in London entstandene Komposition handeln, die laut Vorwort der Erstausgabe von 1947 bei Salabert als ursprüngliche Fassung für «Viole, Violoncello, Viola ou Viola Pomposa avec essai d'accompagnement de Piano à marteaux» vorlag, und die Henri Casadeus 1916 von Camille Saint-Saëns, dem Ehrenpräsidenten der Société des Instruments Anciens, einer Institution, die sich der Förderung der Alten Musik verpflichtete und die Casadesus 1901 gegründet hatte, erhielt. Casadesus will dann das Werk «rekonstruiert» und mit Harmonien versehen haben, während sein Bruder, Francis, die Orchestrierung besorgte.
In dem Briefroman Das Gesetz des Irrsinns beschreibt Dieter Kühn seine ersten Eindrücke von dem Konzert in c-Moll: «Und ich selber, als Rezipient? Ich bin nicht resistent gegenüber Fälschungen. Zwar höre ich viel Musik, auf Tonträgern wie in Konzerten, zwar habe ich hin und wieder einen Essay über Musikrezeption geschrieben, habe gelegentlich eine Musiksendung moderiert im WDR oder SWR – und doch war (und bin) ich begeistert über ein Viola-Konzert, das Johann Christian Bach zugeschrieben wurde.
Vor zwanzig, dreißig Jahren hatte ich es (zum ersten und einzigen Mal) im Funk gehört, hatte es vielleicht auch mitgeschnitten auf Tonband [...]. Noch jetzt [...] habe ich das Eröffnungsthema des Bratschenkonzerts im Kopf, es gehört zum festen Bestand der Musik-Erinnerungen. Der zweite und dritte Satz haben allerdings keine Spuren hinterlassen.
Das Thema des ersten Satzes klingt freilich wie ein Echo auf das Werk von Urvater Bach und nicht auf Werke seines Sohnes Johann Christian. Ich habe mich in dessen Œuvre (wie in das seines Bruders Carl Philipp Emanuel) eingehört, im Lauf von Jahren, und muss konstatieren: Die beiden genannten Söhne haben, in Symbiosen mit ihrer Zeit, jeweils einen eigenen, neuen Stil entwickelt. [...]
Hätte ich damals schon Musik von Johann Christian Bach im Ohr, im Kopf gehabt, so wäre mir, hoffentlich, der krasse Stilunterschied aufgefallen. Erst recht hätte Experten, Musikwissenschaftlern die Zuschreibung auffallen müssen: Kann stilistisch nicht vom Londoner Bach stammen, was ist da los?!
Nun, es liegt eine Fälschung vor. Und zwar, das muss ich gleich betonen: Eine Fälschung, die mir auf Anhieb gefiel und mir weiterhin gefällt, obwohl ich längst weiß ... [...].
Zum Tathergang und Tatbestand: Es ist seit Jahrzehnten bekannt, dass Henri Casadesus, Geiger aus der Casadesus-Musikerdynastie, dieses Konzert kreiert hat. [...] Problem ist nur: das Repertoire an Kompositionen für die Bratsche ist eng. So wurde es von Henri Casadesus klammheimlich erweitert.
Und wie verhält sich die Musikbranche nach der Enttarnung? Diese Frage hole ich nach und staune: Das Werk hat noch Präsenz! Auf YouTube einige Mitschnitte von Konzertaufführungen, vor allem im östlichen Europa, interpretiert von Bratschern, deren Namen mir fremd sind, deren Interpretationen überzeugen. Da klingt der Eröffnungssatz genauso frisch, wie ich ihn in Erinnerung behalten habe, zumindest fragmentarisch.
Der langsame Satz hingegegen hat sich, wie schon angedeutet, nicht weiter eingeprägt. Hier lautet die Satzbezeichnung: Adagio molto espressivo. Das klingt eher nach 19. als nach 18. Jahrhundert! Aber Bratscher werden hier bestens bedient: viele Sequenzen in den tiefen Lagen des Instruments, satter Sound lässt sich entfalten.
Ist diese Musik, obwohl als Fälschung längst entlarvt, nicht kleinzukriegen? Nein, das Werk liegt sogar im Druck vor. Das Titelbild wird von Amazon reproduziert: Violakonzert 'im Stil von J. C. Bach'. Henri Casadesus wird gleichfalls genannt, als 'Herausgeber'. So zieht man sich aus der Affaire.»
(Siehe Dieter Kühn, Das Gesetz des Irrsinns, Frankfurt am Main 2013, S. 474-476.) – Und man möchte hinzufügen, dass auch Verlage wie Edition Peters das Konzert mit einer irreführenden, bzw. tradierten Titelzuweisung anbieten: http://www.edition-peters.de/product/konzert-fur-viola-und-orchester-c-moll/ep8878
Dass das Werk heute im Lehrbetrieb und Konzertleben noch immer diesen einflussreichen Stellenwert einnimmt, ist kaum noch verständlich, denn inzwischen liegen viele Originalkompositionen des 18. Jhts. in modernen Editionen vor, die allein durch ihre Überlieferung, aber auch qualitativ weit über Casadesus' Werk stehen. Anderseits kann das Werk auf eine gewisse Aufführungstradition zurückblicken, die den Konzertunternehmern offenbar einen nicht zu vernachlässigenden Absatz garantiert. (Siehe auch: https://theviolaexperiment.wordpress.com/2013/03/30/j-c-bach-concerto-in-c-minor/ oder http://www.americanviolasociety.org/PDFs/Journal/JAVS-2_2.pdf [S. 10-16] und Ernest Warburton, Thematic Catalogue [= The collected works of Johann Christian Bach, Bd. 48/1], New York 1999, Nr. YC 98, S. 573.)
Das Orchester ist übrigens folgendermaßen besetzt: 2 Fl., 2 Ob., 2 Fag., 2 Hn., 2 Tr., Pk. und Streicher.
Egite :  meine Erfahrungen mit diesem Konzert
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Auch als Cellist ist mir das Konzert in c-Moll von Johann Christian Bach bestens bekannt, denn nach Angabe des Herausgebers (Edition Salabert) handelt es sich um ein Konzert für Viola oder Violoncello oder Violine. Während meines Cello-Studiums in West-Berlin war in den 1950er Jahren die Anzahl der verfügbaren Langspielplatten noch sehr gering. Im Jahr 1958 kaufte ich mir die LP P-8232 der US-Firma Capitol, die außer dem Bruch’schen KolNidrei noch zwei weitere Stücke enthielt: das Cellokonzert von Schumann und das mir bis dahin unbekannte Cellokonzert in c-Moll von Johann Christian Bach. Die Interpreten dieser LP waren Joseph Schuster, Cello und „The Los Angeles Orchestral Society“ unter der Leitung von Franz Waxman. Joseph Schuster (1903-1969), war von 1929 bis 1934 1.Solocellist der Berliner Philharmoniker, musste aber 1934 Deutschland leider verlassen und setzte seine Karriere in den USA fort. Bei einem Konzert mit Klavierbegleitung im Berliner Ernst-Reuter-Saal im September 1959 spielte Joseph Schuster auch dieses „J.Chr.Bach-Konzert“. Alle Berliner Philharmoniker, die ihn noch kannten waren anwesend und freuten sich über das Wiedersehen und Wiederhören mit dem ehemaligen Kollegen. Irgendwelche Zweifel an der Echtheit des „J.Chr.Bach-Konzerts“ gab es nicht. Diese Dinge waren damals unwichtig, und man nahm auch keinen Anstoß daran, dass der große Geiger Fritz Kreisler das oft von ihm gespielte „Vivaldi-Konzert“ selbst komponiert hatte. Die Aufnahme des J.Chr.Bach-Konzerts aus den 1950er Jahren - auf dieser Capitol-LP mit großer Orchesterbesetzung - begeisterte mich so sehr, dass ich mir sofort 1958 die Cello-Version der Noten kaufte, um es zu studieren. In den Jahren 1959 bis 1973 habe ich es dann oft gespielt, mit Klavierbegleitung in Berlin, Basel und Zürich und mit Kammerorchesterbegleitung in Mannheim, hier in einer eigenen Instrumentierung mit Streichern, 1 Flöte, 1 Oboe. Während des Studiums und meiner ersten Aufführungen dieses c-Moll-Konzertes kamen damals von keiner Seite irgendwelche Zweifel an der „Echtheit“ des Werkes. Erstmals 1960 in Basel stellte ein Kritiker mit „… ist es wirklich von ihm?“ die Herkunft des Werks in Frage. Inzwischen wissen wir alle, dass Henri Casadesus dieses Konzert nicht „rekonstruiert“ sondern selbst komponiert hat und sein Bruder Francis die Orchestrierung vornahm. Die Version für Viola und Kammerorchester (nur Streicher) habe ich im Laufe der letzten 50 Jahre mehrmals gehört und auch begleitet, wobei aber die große Orchesterbesetzung – besonders im zweiten Satz – vorzuziehen ist, weil sie sehr viel farbiger klingt. Von dem berühmten russischen Cellist Daniil Shafran (1923-1997) gibt es eine Aufnahme aus dem Jahr 1961 mit großem Streichorchester. Sein Vibrato im zweiten Satz ist leider sehr zittrig, und der dritte Satz klingt völlig verhetzt. Daher bevorzuge ich die ältere Aufnahme mit Joseph Schuster.
Umschlag / CoverUmschlag / Cover
Edition: Salabert, 1947 (5457)
Vorwort / PrefaceVorwort / Preface
Edition: Salabert, 1947 (5457)
Konzert c-moll, für Bratsche und Orchester