Der Weg von der Idee zur fertigen Neuausgabe |
Joseph Ryelandt, Sonate d-Moll für Viola und Klavier, Op. 73 (1919)
Marion Leleu - Der Funke für das Projekt zündete in Flaine.
Wie jedes Jahr unterrichtete ich dort Meisterklassen und spielte mit dem künstlerischen Leiter und Pianisten Bertrand Giraud. Dabei entstand unsere Idee, eine CD mit der Violasonate von Rebecca Clarke
und der Sonate von Paul Hindemith Op. 11,4 einzuspielen, beide geschrieben im Jahr 1919. Würden wir noch ein drittes Werk aus dem gleichen Jahr finden? Damit könnten wir die CD vervollständigen. Die beiden ersten Werke liegen stilistisch weit auseinander. Wie würde sich da ein drittes einfügen?
So fing die lange Suche nach Originalwerken für Bratsche und Klavier aus dem Jahr 1919 an. Von Nadja Boulanger über Theodor Akimenko bis Grandville Bantok begegnete ich etlichen verborgenen Schätzen unseres Repertoires. Schließlich fand ich auf der IMSLP Webseite die Sonate Opus 73 des belgischen Komponisten Joseph Ryelandt (1870–1965): einen handschriftlichen Druck, herausgegeben vom Centre Belge de Documentation Musicale im Jahr 1958.
Bertrand und ich spielten das Stück und waren begeistert über diese romantische Sprache. Besonders zum zweiten Satz hatten wir sofort einen innigen Zugang. Die Sonate erinnerte uns an César Franck. Mir gefiel, dass sie technisch weniger schwierig ist; so wäre sie auch für meine guten Schülerinnen und Schüler und ebenso für fortgeschrittene Amateure ohne Probleme zu bewältigen.
Ich hatte mich in das Stück verliebt. Eine neuere Druckausgabe war nicht zu finden. Konnte ich die Sonate – neben der CD-Einspielung – vielleicht gleich selbst neu herausgeben? Ich hatte jedoch keine Ahnung, wie sich das bewerkstelligen ließe. Zuerst suchte ich nach Informationen über den Komponisten und nahm Kontakt mit dem Königlichen Konservatorium in Antwerpen auf. Dort erhielt ich die E-Mail-Adresse des Biografen von Joseph Ryelandt, David Vergauwen. Herr Vergauwen war angetan von meinem Vorhaben und gab mir den Kontakt der Familie Ryelandt, um die Rechte für das Werk zu erfragen. Ich befürchtete, dass das Abenteuer dort enden könnte, da es vielleicht meine finanziellen Möglichkeiten übersteigen würde. Zu meiner Erleichterung erteilte mir die Familie die Rechte, das Stück neu zu editieren. Ich war begeistert! Herr Vergauwen erklärte sich bereit, das Vorwort zu schreiben, schließlich hatte er schon ein 350-seitiges Buch über den Komponisten verfasst. Er fuhr nach Brügge, um das Autograph, das dort im Stadtarchiv liegt, einzuscannen und mir zu schicken.
Jetzt brauchte ich nur noch einen passenden Verlag. Seit einigen Jahren bin ich ganz angetan vom Partitura Verlag. Seine Spezialität sind Ausgaben mit Spielpartituren: Die Stimmen der Mitspielenden sind klein mitgedruckt. Bei einer Violasonate ist beispielsweise dem Violapart die Klavierstimme in Kleindruck unterlegt, so wie stets die Klavierpartitur auch die Partnerstimme im Kleindruck enthält. Ich finde es absolut richtig und längst überfällig, dass beide Musizierenden gleichermaßen den Überblick über das ganze Werk haben dürfen. Außerdem mag ich auch die Farben der Noten und die Papierqualität. Also nahm ich Kontakt mit Stephanie Gurtner, der Leiterin des Partitura Verlags, auf. Sie reagierte positiv und wir waren uns erstaunlich schnell einig. Das Abenteuer konnte weitergehen!
Es war spannend, das Autograph und die belgische Edition zu vergleichen. Ich kam mir irgendwie vor wie eine Forscherin, die in ein altes Manuskript hinein zoomt, um zu entziffern, ob Eintragungen ursprünglich oder nachträglich gemacht worden sind. Manche waren bunt und deuteten auf Proben-Eintragungen des Komponisten oder des Bratschisten Léon Van Hout hin. Dieser hatte damals das Stück mehrfach zusammen mit dem Komponisten am Klavier aufgeführt. Auch manche Bogenstriche waren mit einem roten Stift gemacht worden, und ich sah, dass viele Bindungen geändert worden waren. An manchen Stellen schien es mir offensichtlich, dass Staccato-Punkte vergessen worden sind. Als Spielerin hätte ich jedenfalls ohne zu zögern die Noten auch kurz gespielt, besonders dann, wenn sie an anderen ähnlichen Stellen mit Punkt geschrieben waren. Aber wie sicher konnten wir uns sein? Ein Verlag muss es natürlich genauer nehmen als ich als Ausführende. Zum ausführlichen Vorwort enthält die Ausgabe deshalb einen editorischen Bericht mit Einzelkommentaren, welche unsere Entscheidungen dokumentieren. Es war ein spannender Prozess, die editorischen Entscheidungen zu treffen, und letztendlich sind alle Beteiligten mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Ich freue mich sehr, dass wir dieses Stück für die Bratschenwelt bereitstellen können und dies erst noch in einer Edition mit Spielpartituren.
Das Sahnehäubchen dieses Abenteuers: Unsere CD unter dem Titel „1919“ ist für den Preis der Deutschen Schallplattenkritik im Bereich Kammermusik nominiert und wurde in die aktuelle Longlist aufgenommen.
Joseph Ryelandt |
Sonate d-moll, op. 73
für Viola und Klavier
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